Spiel 


Das Spiel von Form und Farbe,

von Schatten und vom Licht. 

Sie suchen sich die Wege selbst, 

fragen dabei den Künstler nicht. 


Sie fließen auf das leere Blatt, 

geschickt von des Universums Kraft.

Kunst sagt mir mehr, 

als ich ihr zu sagen habe,


sie teilt mit mir ihr altes Wissen, 

ich steh nur staunend da. 

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Pygmalion 


Der Blick der Kunst

stets auf mir ruhend.

Er schaut sich um, 

er sieht die Welt, 

er macht nicht halt

am Himmelszelt. 


Sterne funkeln hell

im Aug’ des Venusstern, 

die Statue blickt

das Licht der Welt,

das vom Künstler aus

auf ihre steinerne Haut schon fällt.


Der Künstler ist 

gleich Gott gleich Diener.

Er tat alles was er muss und kann und will 

- und was tue ich? 

Ich schau seinen Werken tief ins Herze. 


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Der Balkon 

 

Ein Ort zweier Welten, 

der Ambivalenz. 

Ich bin allein mit mir, 

doch präsentier mich der Welt. 

 

Ich befinde mich im Raum des Privaten, 

von Mauern beschützt, 

fühl mich sicher und wohlig, 

von meinem Balkonstuhl gestützt. 

 

Doch ich bin garnicht drinnen, 

ich bin aus-gestellt, 

ich werd von Blicken gelöchert, 

meine Schutzmauer fällt. 

 

Nicht nur ich bin Betrachter, 

sondern auch Lustes Objekt, 

ich gehöre mir und der Straße, 

ich leb öffentlich versteckt. 


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U-Bahn 

 

Ich fahre 

Ich fahre durch Röhren und Tunnel 

Durch Schwärze und Zeit 

Ich sehe fahle Gesichert 

Durch Sorgen geteilt 

 

Ich fahre 

Ich fahre sitzend auf Mustern 

Aus Stress und Müdigkeit gemacht 

Neonbeleuchtung 

Es hat noch nie jemand gelacht. 

 

Gelb fährt in Schwarz 

Farbe verliert 

Sich im Trübsal des Tages, 

Die Gedanken verwirrt. 


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Das Leben ist zerbrechlich 

 

Das Leben ist zerbrechlich, 

ist vage und flüchtig. 

Die Blumen, sie blühen 

und vergehen in der Kälte. 

Egal, wie schön sie leuchten, 

nichts kann sie hier halten. 

 

Die Blätter welken, 

sie sagen Lebewohl. 

Ist denn schon wieder Winter? 

Ich schaue mich um 

und sehe das Leben. 

Ich sehe den Wind und das Wanken, 

ich sehe Kommen und Gehen 

und ein ewiges Werden. 

 

Das Leben ist schnell, 

doch endlos, 

es rennt und schwankt 

und flüchtet und fällt. 

Ich sehe die Blumen beim Wachsen, 

sehe sie Lächeln und Strahlen, 

und vermisse schon jetzt. 

 

Das Leben, es bricht, 

es schwindet und stoppt. 

Ein Blatt fällt zu Boden, 

dann zwei, dann drei. 

Ich spüre das Leben, 

das Beben und Atmen, 

das Pochen und Lieben. 

Oh Frühling, 

sei mein Freund beim Trauern.

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Himmelsgewalt 

 

Ich schlug wie ein Blitz in deinem Leben ein 

Tat es den Himmelsgewalten gleich 

ich war grell und schnell und stark 

doch nur für einen kurzen Augenblick 

danach war meine Kraft erstickt. 

 

Ich kam und verging in einem Wimpernschlag 

weil in mir nur die Hoffnung eines Einschlags lag 

ich verschwand in der Dunkelheit, 

in der Vergessenheit - 

Sag, erinnerst du dich noch an mich?

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Höllen-Idylle 

 

Schlaflose Nächte, 

Gefangen im Grau, 

Ich steh im Gedankenwalde, 

Und stell meine Ängste zur Schau. 

 

Ich bin müde geworden, 

Müde vom Atmen, 

Träge vom Leben, 

Vom ewigen Warten. 

 

Die Dunkelheit hält mich, 

Umarmt in der Stille, 

Nächte sind endlos, 

Eine Höllen-Idylle 


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Der Gang zum Dom 

 

Durch die Tür in Hitze tretend, 

die Welt sieht heut viel voller aus. 

Ob links, ob rechts, ob geradeaus, 

sie ist gefüllt, 

egal wohin ich schau. 

 

Die Brücke krümmt sich 

durch die Gegend. 

Sie schlängelt sich am Straßenrand, 

Schaufenster reih’n sich aneinander, 

bis ein jedes Schild sein Plätzchen fand. 

 

Häuser stapeln sich zu Klötzen, 

Grau in Grau mit Fenstern dran. 

Ich laufe durch die Straßenschluchten, 

fang schon jetzt zu viel zu denken an. 

 

Es geht nach links, nach links, 

nochmal nach links. 

Der Weg ist vorbestimmt. 

Ob mir all das vielen Denken 

wohl die Chance auf umfassne Wahrnehmung nimmt? 

 

Ich spür die Hitze, seh’ das Blau, 

dass sich unendlich über Dächer spannt. 

Jede Straße führt zum Platz des Doms, 

die Berliner Stadt stellt sich zur Schau. 

 

Ich laufe zwischen Rosa, Grau und Spiegelglas, 

bis die Spree sich fließend vor mir zeigt. 

Ich bin mir ziemlich sicher, 

dass sich mein Erinnerungsvermögen 

bereits dem Ende neigt. 

 

Ein letztes Mal vorbei an Stimmen, 

an Licht und Schatten und Geschrei, 

Mein Kopfe scheint zum Platzen voll, 

ich frage mich, 

wie ich das nun alles zeigen soll … 


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Ein Funken Nacht 

 

Ein Funken Nacht, 

der Himmel schwarz, 

das Bett gemacht 

im Sternenmeer. 

 

Leuchtend groß, 

mein Augenlicht 

im Sternenkuss 

verglüht mein Herz. 

 

Ein Himmelsreiter 

zieht vorbei. 

Lichter, Lichter, 

ziehen weiter. 

 

Im Universum bin 

ich heut Zuhause, 

ein glücklich Kind 

ganz schwerelos. 

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Florenz: Die Farben des Abschiedes 

Ich sitze auf der Rückenlehne einer Holzbank, weil der Boden für meine in Barfußschuhe gehüllten Füße zu kalt ist. Alles ist ein bisschen eingefroren, auch die Stimmung. 

Ich lasse meinen Blick umherschweifen, weiß nicht, wohin ich als erstes schauen soll - der blaue Himmel über mir oder die sich langsam beruhigende Stadt vor mir. Mein Blick gleitet weit in die Ferne, sich an den Hügelketten entlang hangelnd. Sie verblassen langsam in immer heller werdenden Blau- und Grüntönen. Ich muss an die Hintergründe in Leonardos Gemälden denken. Ob er einst an der selben Stelle staunend stand und an Malerei dachte? Ich denke an Bilder, an Farben, an Vorder- und Hintergründe. 

Auch wenn der Himmel nach wie vor in sattem Blau erstrahlt und alles unendlich aussehen lässt, färbt sich ein kleiner Streifen über den Bergen bereits in einem blassen Lila. Langsam kommt alles zur Stille. Ich sehe im Hintergrund Schnee aufblitzen, irgendwo auf weit entfernten Hügeln. Kalter Wind weht mir ins Gesicht, so als komme er geradewegs die Berge hinab geflüchtet, um mich zu grüßen. Ich versenke mein weißen Hände noch ein wenig tiefer in meinen Jackentaschen. 

Die meisten Häuser haben gelbe Wände, sie wirken wie große Skulpturen vor diesem blauen Hintergrund. Sie wirken in die Landschaft gesetzt, ein bisschen wahllos und doch zusammengehörig. Die Fenster sind alle zum Sonnenuntergang gerichtet. Wie viele Menschen sich wohl gerade hinten den Scheiben befinden und dabei zusehen, wie der Tag sich verabschiedet? Abschiede sind traurig. Schönes soll nicht zu Ende gehen. Und doch mischt sich Traurigkeit mit Freude, Freude darüber, dass das Schöne überhaupt existiert. Wie viele Sonnenuntergänge werde ich mir wohl noch anschauen? Wie oft wird die Sonne noch vergehen, bis ich Abschied nehmen muss? 

Ich blinzle der Sonne entgegen, die sich nur noch knapp oberhalb der Hügelkette am Himmel hält. Sie nimmt den ganzen Tag mit sich, reist alles nach unten und lässt mich mit einem Gefühl des Staunens, aber auch der Leere zurück. Ihre Strahlkraft blendet mich, vielleicht weine ich auch ein bisschen. Ich würde die Sonne so gern am Himmel halten, sie in meine Hände nehmen und liebevoll an Ort und Stelle festdrücken. Ich will für immer im Sonnenuntergang leben. Will mehr Zeit haben, um den Wind und die Farben in den Bäumen zu beobachten. Will sehen, wie sich jedes grüne Blatt ein bisschen Orange färbt, wenn die Sonnenstrahlen sich darin spiegeln. Will hören, wie der Wind weiterhin Geschichten in mein Ohr flüstert. Das Blau, es schwindet, lässt ein bisschen Rosa und Lila zurück. Verwischte Träume. Der Dom, diese riesige terrakottafarbende Kuppel, die sich über allem erhebt, strahlt ein letztes Mal, bis auch sie in der Nacht verschwindet. Meine Hände sind kalt, meine Wangen gerötet.

 Ich konnte die Sonne nicht festhalten, ich musste sie gehen lassen. Musste einen weiteren Abschied erleiden, einen weiteren Tag in die Bücher der Zeit übergeben. 

Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich zu erheben und auf steifen Beinen nach Hause zu stolpern. Mir kommt ein alter Herr entgegen, eine ultramarinblaue Mütze tief ins Gesicht gezogen. Seine Lippen sind gespitzt, er pfeift ein Lied. Ich muss lächeln. 


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Laufen

Eigentlich wollte ich garnicht laufen gehen. Mein Kopf fühlte sich schwer an, alle Gedanken waren für heute bereits aus-gedacht. Auch mein Körper war träge, eingewickelt in eine grün-karierte Kuscheldecke. Selbst wenn ich von einem Zimmer zum nächsten streifte, auf der Suche nach einer Beschäftigung, die keine Konzentration mehr erfordert, ließ ich die Decke eng um meinen Körper geschlungen. Es ist kalt. Sicherlich sah mein Gang amüsant und ungelenkig aus. 

Doch ehe ich mich versah, und so richtig verstanden hatte, was in der Zwischenzeit passiert war, fand ich mich laufend auf der nassen Straße wieder. Meine immer kälter werdenden Ohren haben mich aus meiner Trance geweckt; ich hätte ein Mütze aufsetzen sollen. Meine Schritte machen in einem scheinbar endlosen Rhythmus ein Platsch-Geräusch auf dem Asphalt. Alles ist dunkel und irgendwie verlassen. Nur ein paar Fahrradfahrer sind unterwegs, die Kapputze tief ins Gesicht gezogen. Alle Gesichter sind verschattet. Ich Laufe an den Gleisen der Straßenbahn entlang, um den großen Pfützen auszuweichen. Eigentlich nutzlos, meine Socken sind bereits nass und meine Zehen unangenehm kalt. Die Straßenbahn fährt an mir vorbei. Ich erhasche nur einen schnellen Blick ins Innere des Wagens, doch ich sehe zahllose Menschen dicht gedrängt in engem Raum. Alle sind auf der Flucht. Vor der nassen kalten Welt und vor einander. 

Ich schlängle mich durch das Straßennetz, bleibe hier und da an einer roten Ampel stehen, werde von Menschen, die hinter Scheiben sitzen, angestarrt. Ich bin komplett in Schwarz gekleidet und es fühlt sich an, als würde ich einfach mit dem Abend verschmelzen. Ich bin mir nicht mehr sicher, wo mein Körper aufhört. Er scheint sich eh auf seltsam mechanische Art zu bewegen. Ich höre zwar noch das Geräusch meiner Füße, die im Takt auf dem Boden auftreffen, doch ich spüre nicht, wie sich meine Beine bewegen. Jeder Schritt ist ein kleiner Sturz; bei jedem Schritt lassen wir uns fallen, nur um uns mit dem anderen Bein wieder aufzufangen. Ich glaube, ich lasse mich einfach weiter fallen, immer der Straße und der Nacht entgegen. 

Ich gelange endlich zum Park. Zum einzigen Park in der Stadt, an dem man nicht sofort das Ende sieht. Den Fluss immer neben mir. Auch der Fluss sieht träge aus. Das ganze Regenwasser scheint ihm nicht gut zubekommen, scheint ihn zu endschleunigen. So laufe ich nun vor mich her. 

Der Park ist leer. Mein Kopf ist leer. Die Welt ist leer. 

Nur vereinzelt sehe ich einen Läufer an mir vorüberziehen, ebenso versunken in sich selbst wie ich. Es ist leicht zu sehen, wer Läufer ist und wer ein Mensch ist, der läuft. Jetzt sind nur Läufer unterwegs. Die, die auch an langen Tagen noch aus der Tür stolpern, um einsam ihre Kilometer zu sammeln. Die, die sich kurz zunicken und anerkennen, dass es noch mehr gibt, die so sind wie sie. Hier draußen, laufend, sind wir alle zusammen einsam. Unsere Füße laufen im selben Takt. Die Melodie der Verrückten. 

So fließt die Straße unter mir her, sie tut es dem Fluss gleich, sie treibt mich einfach umher. 

Bin ich wach, oder träume ich? 

Irgendwann starren mich die selben Augen hinter Scheiben an, denen ich bereits auf dem Hinweg begegnet war. Starren sie tatsächlich mich an, oder nur in die Ferne? Woran die Menschen wohl denken, während sie im Warmen sitzen? 

Noch ein paar Mal fallen lassen, noch ein paar mal Auffangen und auch ich bin wieder Zuhause. 

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Die Berge (Manteigas, Portugal) 

Ein Schritt nach dem nächsten, geradewegs der blauen Unendlichkeit entgegen. Es schien, als sei ich der einzige Mensch, den es auf dieser Welt noch gäbe, doch dieses Gefühl stellte sich ganz ohne Traurigkeit oder Einsamkeit ein. Es ließ mich ganz im Gegenteil erleichtert aufatmen. Zum ersten Mal seit langem konnte ich tief einatmen; die frische Luft durchströmte meinen gesamten Körper. Bei jedem Schritt schien mein Körper leichter zu werden. 

Die Sonnenstrahlen streichelten die Berggipfel, die mich in der blauen Ferne umgaben. Die Sonne spielte mit jedem Ast und jedem Blatt; und sie ließen ein angenehmes Gefühl von Wärme und Geborgenheit auf meiner Haut zurück. Es wehte ein leichter frischer Wind. Er zerzauste mein Haar, trieb mich die Berge hinauf. Es schien mir, als würde ich im Atem der Natur versinken. 

Meine Umgebung war ein rauschendes grünes Meer. Alles wiegte im Rausche der selben Melodie. Am Horizont erhoben sich Felsen so groß und majestätisch, dass sie so aussahen, als hätte sie dort jemand absichtlich platziert. Alles fügte sich zu einer perfekten Komposition; zu einem Bild der Einheit. Es wirkte wie die Umgebung aus einer anderen Epoche. Unberührt von Menschenhand. Friedlich. Grenzenlos. 

Ich möchte ewig hier bleiben und mit den Schmetterlingen schweben. 

Ozean (Lissabon, Portugal) 

Ich hätte den Ozean so gern für mich allein. Würde mir gerne einbilden, dass er mir mit jeder Welle ein Geheimnis ins Ohr flüstert, dass nur für mich bestimmt ist. 

Doch es ist ein heißer Sommertag im August und der Strand ist voll. Es ist kaum mehr Sand zu sehen zwischen all den bunten Sonnenschirmen und Menschenansammlungen. Es riecht nach Sonnencreme und Salzwasser. All die Körper lenken mich ab, zerstreuen meine Aufmerksamkeit. All die verschiedenen Formen, in die sich die menschliche Existenz quetschen kann. 

Der Himmel trägt ein blasses Blau. Er scheint selbst unter der Mittagshitze zu verglühen. 

Ich stelle mich mit beiden Füßen in den nassen Sand. Eine Welle schwappt an meinen Beinen hoch. Das kalte Wasser presst sich gegen meinen aufgeheizten Körper. Mein Blick ist in die Ferne gerichtet, die Unendlichkeit. Ich trete tiefer ins Meer. Eine Welle nach der nächsten rollt nun über meinen Kopf hinweg. Sie waschen meine Gedanken rein. Sie spülen meine Sorgen fort. Plötzlich bin ich allein. Alle anderen Körper sind verschwunden und ich spüre nur noch meinen eigenen. Ich spüre Hitze und Kälte, Bewegung und Stillstand. Ich spüre die Unendlichkeit.


Ein schöner Tag

Als ich am Morgen verschlafen die Augen öffnete, strahlte die Sonne bereits am Himmel und ließ  die weißen Wände meines Zimmers aufleuchten. Zwischen den gelben Nachbarhäusern, die sich vor meinem Balkon aneinanderreihen, wirkte das Blau des Himmels grenzenlos einladend. Alles zog mich hinaus, hinaus in die Straßen. So bahnte ich meinen Weg zum Museum, dem Bargello, ein großer Name zwischen den Museen dieser Welt - doch eigentlich verbirgt sich dahinter ein Ort, der sich heimelich und ruhig anfühlt. Schwere Mauern schützen den Innenhof des Museums vor dem Lärm der lebenden Stadt, alle Skulpturen sind in ihrem steinernen Dasein der Stille überlassen, der Bewunderung. 

Doch mein Zeichnen glich heute weniger einem heimlichen Tagebucheintrag, sondern viel eher einer öffentlichen Liebeserklärung an die Kunst. Martyna, eine Freundin, begleitete jeden Strich mit ihrer Kamera, fing den Moment des freudigen Studierens der Kunstwerke ein. 

Normalerweise werde ich nervös, unsicher, wenn beim Zeichnen Augen auf mir Ruhen - verspüre eine innere Anspannung, die von mir erwartet, dass ich die schönste Zeichnung produziere, die je existierten. Doch da diese Erwartung zum Scheitern verdammt ist, bleibt letztlich nur ein Gefühl der Enttäuschung. Doch nicht heute. Unter dem strahlend blauen Himmel leuchtete auch meine Seele, mein Selbstvertrauen auf, und jedes Foto, welches ihrer Kamera klickend ankündigte, zeigte eine entspannte junge Frau. Mal lächelnd, mal staunend, mal versunken der eigenen Hand zuschauend, während jene ihren Weg über das Papier ganz von allein zu finden schien. Wie wunderlich. Die Sonnenstrahlen spielten auf ihrem Gesicht, der Wind mit ihrem Haar. Ich wäre gern öfter dieses Mädchen, dass sich nicht im Schatten der großen Meister windet, sondern selbstbewusst neben ihnen steht und Hand in Hand der künstlerischen Zukunft entgegenblickt. 

Auf dem Weg vom Museum nach Hause, das gefüllte Zeichenbuch noch immer in der Hand, schienen die Straßen heute weicher, leichter zu begehen, das Schicksal leichter zu tragen. 

Frühling lag in der Luft und so führte mich der Weg am Nachmittag in den benachbarten Park. Musik. Der sanfte Klang einer Gitarre und einer Geige, die sich zu umarmen schienen. Gesang. Ich setzte mich in die Nähe, auf eine grüne Wiese, umgeben von lauter kleiner Gänseblümchen. Die Sonne stand links über mir am Himmel, ein kleiner Baumzweig wehte sacht im Wind und beschütze mich vor den Sonnenstrahlen. Er beschützte mich jedoch nicht vor dem kleinen Hundewelpen, welcher unverhofft und unangekündigt mein Gesicht mit Küssen attackierte und es sich auf meinem Bauch bequem machte. Ein ältere italienischer Herr entschuldigte sich lächelnd, doch wir beide wussten, dass es nichts zu entschuldigen gab. Es gab nur freudige Überraschung. 

Ob ein Tag wohl zu schön sein kann, zu leicht? Darüber sollte ich heute nicht nachdenken. 

In der Stunde des Sonnenuntergangs lief ich zu meinem Lieblingspark und bewunderte das Panorama von Florenz vor einem rosa-goldnen Hintergrund. Das Leben wollte heute gut zu mir sein, wollte mir zeigen, was es zu bieten hat. Vielleicht wollte Florenz mich aber auch davon überzeugen, dass ich hier bleiben sollte - so traf ich auch noch Luisa und eine Freundin von ihr, die sich mit lauter Snacks im Park ausgebreitet hatten. Zufall? Ich setzte mich dazu, wir redeten über Kunst. 

Sicherlich hätte ich noch vieles Zuhause erledigen können, hätte versuchen können, mich mit produktiven Rum-getue so zu fühlen, als ob ich irgendwas erreichen könnte. Doch was könnte ich schon mehr im Leben erreichen, als einen glücklichen Tag zu haben? Wie sollte ich für mehr wünschen können, als mit einem Lächeln nach Hause zu kommen und dankbar zu sein? 

Es gab also nichts weiter zu tun, als mich ins Bett zu legen und darüber zu schreiben, was Glücklich-Sein ist, damit ich nicht vergesse, dass dieses Gefühl existiert, auch wenn der Himmel wieder grau ist. 


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Direkt unter Gott - der schaffende Künstler. 

 

Ich schlendere durch kleine Gassen, die gefüllt sind mit dem Geruch nach Steinofen-Pizza, gefälschten Lederjacken und dem melodischen Klang der italienischen Sprache. Das Kopfsteinpflaster unter den Sohlen, die herbstliche Sonne im Nacken. Ich biege mal links ab, mal rechts. Egal welche Route ich wähle, irgendwie führt es mich immer zum Herzen der Stadt, zum Herzen von Florenz, der Kathedrale „Santa Maria del Fiore“. Ich kann mich an diesen Anblick einfach nicht gewöhnen, denn jedes Mal scheint sich dieser gigantische Bau, gekrönt von einer beeindruckenden Kuppel, urplötzlich zwischen den alten Hausfassaden zu erheben. Ein architektonisches Meisterwerk, dass auf die Bevölkerung im 13. Jahrhundert wie ein reines Wunder gewirkt haben muss. Als Kunstgeschichtsstudentin, die ein Auslandssemester in Florenz absolviert, sollte ich wahrscheinlich all die Bauelemente und Künstler benennen können, die daran mitgewirkt haben, doch all diese Fakten scheinen nebensächlich, wenn ich mich stattdessen dem reinen Staunen hingeben kann. 

Wenn ich an der Fassade hinaufschaue, begegnet mir ganz oben, an der Spitze des Dreiecks, die Skulptur eines Mannes, der aus luftigen Höhen auf mich hinunterschaut. Wer es ist? Nun ja, ich stehe vor einer Kathedrale und der Platz ganz oben kann wohl nur für eine bestimmte Figur - Gott - reserviert sein. Doch direkt unter seinem steinernen Antlitz, präsentieren sich 12 weitere Skulpturen. Wer sie sind? Die Vermutung läge nahe, dass es sich um Apostel, um Heilige, um biblische Figuren handeln würde - doch dort finden wir die 12 Männer, die Florenz unteranderem zu einem der künstlerischen Juwelen der Welt gemacht haben. Direkt dort oben an der Fassade der Kathedrale, ganz nah bei Gott, finden wir die Porträts von 12 Künstlern, festgehalten für die Ewigkeit. 12 Männer, deren Werk sie tatsächlich unsterblich gemacht hat, denn auch heute, 500 Jahre nach der italienischen Renaissance, strömen nach immer hunderttausende Touristen in die Stadt, die einst von Leonardo, Michelangelo, Donatello, Botticelli und Co. gestaltet wurde. 

Mir kommt es so vor, als würden wir diese großen Namen oft nicht mit tatsächlichen Menschen assoziieren. Statt individueller Lebensgeschichten kennen wir meist nur wenige Werke, die in das kollektive Gedächtnis eingegangen sind und auf jeder Check-Liste abgehakt werden müssen, wenn der obligatorische Besuch in den Uffizien ansteht. Diese Personen, die nun zumeist als Genies bezeichnet werden, strahlen uns von poliertem Marmor und goldgerahmten Gemälden entgegen - ihre Existenz scheint eine reinste Erfolgsgeschichte, die uns hinter kugelsicherem Glas präsentiert wird. 

 

Wenn ich durch die unzähligen Museumsräume streife und mich an unnachgiebigen Besucherströmen vorbei quetsche, kommt jedes Mal der Wunsch auf, ganz allein und in Stille in diesen Hallen zu sitzen. Mich in all die Augen zu vertiefen, die mir von den Leinwänden entgegenblicken. Wenn ich monatelang in dieselben Museen gehe, kommt es mir irgendwann so vor, als würde ich dort tatsächlich Freunde besuchen. Als würden die Kunstwerke und ich eine Geschichte teilen. Ich habe 4 Jahre Bildenden Kunst studiert und bin selbst Malerin. Mich als Künstlerin zu bezeichnen, fällt mir jedoch schwer, wenn ich darüber nachdenke, dass Leonardo, Michelangelo und Co. denselben Titel tragen. Wer bin ich schon im Angesicht dieser Giganten? 

Und doch habe ich das Gefühl, dass der Traum, selbst als Künstlerin mein Leben zu verbringen, gerade im Museum mehr Berechtigung und Anerkennung erfährt als in der Welt außerhalb davon. Ich stelle mir vor, wie all diese Personen (leider zumeist nur Männer), ebenfalls in farbbespritzter Kleidung in einem Atelier standen, Pinsel oder Meißel in der Hand, sich völlig verlierend in der Arbeit, die vor ihnen lag. Wie sie ebenfalls diese unerklärliche Freude nach einem gelungenen Pinselstrich auf der Leinwand empfanden. Wie auch sie frustriert, gestresst und deprimiert aus der Tür traten, wenn der angemischte Farbton nicht der eigenen Vorstellung entsprach oder weil das Malen von Händen nie einfacher wird. Ich will mir vorstellen, wie diese sogenannten Meisterwerke von Menschen gemacht wurden, die nicht nur unnahbare Legenden sind, sondern einfach Menschen, die emotional ähnliches durchgemacht haben wie ich, wenn ich an meinen Bildern arbeite. Ich stelle mir vor, wie diese unsterblichen Persönlichkeiten durch ihre Bilder präsent sind, dass jeder Pinselstrich eine Spur ist, die sie hinterlassen haben und durch die ich mich bestärkt fühle, selbst den Pinsel nicht aus der Hand zu geben. 

 

Es ist merkwürdig darüber nachzudenken, wie die Gemälde, mit denen ich selbst unzählige Stunden im Atelier verbracht habe, in den Besitz anderer Menschen übergehen. Sie wandern zwar nicht in namenhafte Museen, doch sie werden Teil des alltäglichen Lebens von Personen, Pärchen, Familien. Vielleicht hängen diese Bilder für mehr als nur eine Generation an der Wand. Diese Bilder wird es irgendwann noch irgendwo geben, auch wenn es mich nicht mehr gibt. Ich wundere mich häufig, ob es dann auch irgendwann mal einen Menschen geben wird, der zwar meinen Namen noch von der Unterschrift auf dem Bild kennt, doch selbst nichts mit mir und meinem Leben assoziieren kann. Ich frage mich, wie ich in der Vorstellung dieser Person aussehen könnte und ob das wilde Spekulieren bedeutet, dass ich in und durch meine Bilder weiterlebe? Will ich das? 

Ich werde sicherlich keinen Platz an der Fassade der Kathedrale direkt unter Gott bekommen, doch das künstlerische Arbeiten bekommt eine zusätzliche Bedeutung, wenn ich mir vor Augen führe, dass diese Bilder vielleicht alles sind, was irgendwann mal von mir übrig bleiben wird auf dieser Welt. 

 

So schlendere ich noch weiter für eine Weile durch die wunderschönen Straßen von Florenz und halte inne, wenn ich an dem Gebäude vorbeikomme, in welchem Leonardo für eine Weile gewohnt hat. Ich lese die große Steintafel, die von seiner Anwesenheit spricht und zwinkere ihm in Geiste heimlich zu - ich wünschte, wir könnten diesen Spaziergang gemeinsam fortsetzen.