Sommer im Winter, 130 x 160 cm, Öl und Kreide auf Leinwand, 2024
Linien und Glück (22.12.2024)
Ich hätte sofort anfangen sollen zu schreiben, als ich den Impuls dazu verspürt habe. Nun kommt es mir so vor, als würde ich lediglich versuchen, die Schatten meiner Gedanken und Gefühle einzufangen, bevor sie sich völlig in Luft auflösen.
Ich war eigentlich dabei, Leinwände zu bauen. Ich saß im Atelier auf dem Boden und versuchte, die sturen Holzlatten mit meinem Gummihammer in einander zu schlagen. Eine mühselige, teils frustrierende Aufgabe. Leider hatte ich keine neuen Leinwände mehr, auf denen ich sofort neue Bilder hätte anfangen können, also konnte ich mich nicht davor drücken, obwohl ich überhaupt keine Lust dazu hatte. Ich hätte mich viel lieber sofort in der Welt der Farben verloren. All die bunten Bilder an den Wänden schienen mich sowie dazu anregen zu wollen, sie jubelten mir wortlos zu.
Ich habe die Holzrahmen liegen lassen und angefangen, stattdessen ein paar Leinwände an den Wänden neu zu arrangieren. Es sollte eigentlich nur der Prokrastination dienen, doch während ich die große Leinwand in Händen hielt, auf der bisher nur wenige gelbe und rote Striche zu sehen waren, kam mir eine Idee. Nein, ich glaube, die Idee hat schon Weile in mir geschlummert, doch nun schienen sich die verschiedenen Teile endlich zu einem Ganzen zusammenzufinden und ich wusste, was ich tun musste. Ich kramte in einer Kiste nach einigen alten Zeichenmaterialen, die ich teils noch von meiner Studienzeit in Madrid aufbewahrt hatte. Ich fand darin wonach ich suchte: einige schwarze und weiße Kreiden. Nun schaute ich die große Leinwand an. Ich habe eigentlich immer Angst, oder zumindest großen Respekt, wenn ich mich großen Leinwänden nähere, denn ich will sie nicht gleich ruinieren. Es dauert so lange, sie zu bauen, zu bespannen, zu grundieren, dass der Druck beim Malen ansteigt. Ich will keine Fehler machen. Doch wenn man eine neue Idee hat, muss man sie immer erst ausprobieren, ansonsten kann man garnicht beurteilen, was ein Fehler wäre und was nicht. So bin ich ganz unbefangen an sie herangetreten, die schwarze Kreide in der Hand, und habe begonnen, gedankenlos Linien auf dem Stoff zu ziehen. In großen Hand- und Armbewegungen habe ich gezeichnet, gekritzelt, meinem Bewegungsdrang freien Lauf gelassen. Ich fühlte all die hunderten kleinen abstrakten Zeichnungen, die ich in Berlin mit Tinte und Aquarell angefertigt hatte - ich wusste, dass ich mich mittlerweile einfach auf meine Hand verlassen konnte und dabei nicht mehr zu denken brauchte. Meine Hand würde ihren Weg ganz von alleine finden. Nein, nicht alleine, sie wird dabei geführt. Ich musst unzählige Bilder malen, um endlich diese Leichtigkeit, dieses Selbstvertrauen zu erreichen. Ich bewegte mich fast wie in Trance, sang die Musik mit, die das Atelier bis zum letzten Winkel erfüllte, tanze auf und ab und malte immer weiter. Ich ließ nun die Farbe mit den entstanden Linien spielen, auch sie tanzen mit- und umeinander. Ich setzte dicke Farbgesten mal hier hin, mal dort hin. Das Bild ließ mich zuverlässig wissen, an welchem Punkt ich als nächstes Ansätzen musste. Und so wuchs auf ganz organische Art und Weise dieses Bild, das mich förmlich anlächelte. Ich lächelte zurück. Ich empfand ein pures Glücksgefühl.
Nun schien es beinahe wie ein Rausch, ich wollte nie wieder damit aufhören. Ich hatte das Bild plötzlich und völlig ungeplant fertig gemalt - und zwar in nur wenigen Minuten. Doch genau so, wie es jetzt war, sollte es sein. Ich hing es an eine andere Stelle an der Wand und machte mich sofort an die nächste Leinwand. Keine Spur von Angst, keine Zweifel. Ich wusste nun, was ich zu tun hatte. Auch jetzt ließ ich die schwarze und die weiße Kreide über die Oberfläche huschen, verteilte meine Linien auf der ganzen Fläche. Waren es Gedankenlinien? Gefühlslinien? Gotteslinien?
Ich musste vor lauter Freude und Aufregung fast weinen. Ich habe etwas Gutes gemacht.
Zu jenem Zeitpunkt hätte ich all diese Emotionen ganz frisch und freudig aufschreiben sollen, doch vielleicht war ich noch zu überwältigt. Draußen begann sich das Licht schon langsam zu verändern, es würde nicht mir mehr lange Dauern bis zur Dämmerung. Ich wollte gerne noch im Hellen eine Runde spazieren gehen und so zog ich mir schnell meinen Mantel über und ging hinaus. Es hatte zuvor den ganzen Tag über geregnet, doch die Wolken waren mittlerweile aufgerissen und der Himmel kam mir so blau vor wie schon lange nicht mehr. Endlich war da wieder Licht, Farbe. Es zeigte sich ein wahres Wolkenspektakel, dass sich so schnell veränderte, dass ich meinen Blick nur gebannt nach oben richten konnte. Es waren all diese Farben zu sehen, die ich garnicht zu beschreiben vermag. Farben, von denen ich nicht wüsste, wie ich sie auf meiner Palette anmischen könnte. Teils wurden die Wolkentürme von der bereits untergehenden gold-gelben Sonne angestrahlt, mal zogen sie wie pinke Zuckerwatte vorüber. Der Himmel sah so weit, so endlos aus; so viel größer als in Berlin. Ich genoß es, meinen Blick wieder derart in die Ferne schweifen lassen zu können. Die Welt schien mir plötzlich so viel klarer, sie machte so viel mehr Sinn.
So wie ich auf den Leinwänden meine Linien gezogen hatte, so zogen nun die Vögel ihre Bahnen am Himmel.
o.T.
140 x 100 cm
Öl und Kreide auf Leinwand
2024
Sunflowers
160x13cm
Öl und Kreide auf Leinwand
2024
Mut
70 x 50 cm
Öl und Kreide auf Leinwand
2024
Hoffnung auf Frühling
70 x 50 cm
Öl und Kreide auf Leinwand
2024
Frühlingslust, 70 x 100 cm, Öl und Kreide auf Leinwand, 2024